Über den Überfluss
Nach zweieinhalb Jahren Plotten, Schreiben und Überarbeiten ist das aktuelle Romanmanuskript bereit für einen Marktreifetest. Und der Kopf frei für ein paar grundsätzliche Gedanken.
Anfang April erlebten wir drei wundervolle Tage und grausame Nächte im katalanischen Nirgendwo. Unsere Unterkunft war ein Steinhäuschen auf einer Anhöhe, einzig von Olivenhainen gesäumt. Wir fühlten uns herrlich entkoppelt, doch wir schliefen kaum. Nachts rüttelte ein tobender Wind am Gemäuer des Steinhäuschens wie ein hungriger Wolf.
Und doch blickten wir sehnsüchtig zurück, als wir einige Tage später in Barcelona strandeten. Auf Las Ramblas drehten wir uns im Kreis und schnappten im Tumult der Konsumjäger und -sammler nach Luft. Es wurde uns alles zu viel. Deshalb flüchteten wir – Richtung Mirador del'Alcalde auf dem Montjuïc. Und eigentlich: Richtung Fundació Joan Miró, in der wir ein kleines Wunder erlebten. Miros reduzierte Form der Kunst pustete uns den Kopf frei.
„Von allem zu viel“ – das galt dort oben nicht. Dort oben galt das Gegenteil. Dennoch blieb der Gedanke haften. Der Gedanke, der natürlich schon vorher gedacht worden war – immer dann etwa, wenn ich wieder daran verzweifelte, dass es mehr interessante Bücher gibt als ich lesen kann. Der Gedanke, dass wir uns in einer Welt des Überflusses bewegen.
Am Selbstverständnis gerüttelt
Nun wäre es eher hinderlich, beim Überarbeiten eines Romans daran zu denken, wie viele Romane es schon gibt. Genauso wenig wollte ich mich von der existenziellen Krise ablenken lassen, in der die Buchbranche (mal wieder) steckt, aufgrund von Inflation, Papiermangel, Absatzeinbußen, Pandemiespätfolgen.
Also habe ich mich (soweit das möglich war) in den vergangenen Monaten auf etwas anderes konzentriert: auf meine Charaktere und meine Handlung. Auf Schwächen und Stärken, Konsistenz und Überraschung, Explizites und Implizites, Perspektive und Form. Die Fassung, die ich jüngst abgeschlossen habe, ist die fünfte. Ich halte sie für vorzeigbar.
Das führt dazu, dass sich die Veröffentlichungsfrage stellt. Und, mindestens genauso akut, die Frage nach meinem Selbstverständnis als Schriftsteller in einer Welt, die ungeachtet aller Krisen (zumindest noch, zumindest hierzulande) von Überfluss gekennzeichnet ist.
Ich schreibe – Achtung: Klischee! – weil ich gar nicht anders kann. Weil ich das Schreiben liebe. Weil ich Geschichten erzählen will. Weil ich natürlich davon überzeugt bin, dass meine Geschichten einen Wert haben. Es mag einen Überfluss an Veröffentlichungen geben, einen Überfluss an meinen Geschichten gibt es nicht. Die Welt kann noch ein paar von ihnen vertragen. Es ist mir bewusst, dass es ein gehöriges Stück an Selbstüberzeugung braucht, um so zu denken.
Eine Wette mit vielen Unbekannten
Zweieinhalb Jahre in einen Roman zu investieren, ohne zu wissen, ob er jemals veröffentlicht und groß rezipiert wird, verlangt aber mehr als Selbstüberzeugung. Es verlangt ebenso viel Sturheit, Geduld und Spaß am Prozess an sich. Zweieinhalb Jahre an einem Roman zu arbeiten, ihn immer weiter fort- und immer wieder umzuschreiben, bis man das Gefühl hat, ihn vorzeigen zu können, ist eine Wette mit sich selbst.
An diesem Punkt stehe ich nun, streichle meine Geduld und krame prophylaktisch weitere Attribute hervor: Leidensfähigkeit und Gelassenheit. Ich gehe eine neue Wette ein, eine Wette mit vielen Unbekannten. Werde ich den Roman in einem Verlag veröffentlichen und mit ihm eine größere Reichweite erzielen?
Realistisch betrachtet scheint das so unrealistisch wie nie – als logische Folge der oben erwähnten Krisenbegleiterscheinungen. Weniger Überfluss als Konsequenz also? Sollte daran eine Veröffentlichung scheitern, wäre das bitter für mich – und doch die ironische Pointe dieser Geschichte. Entmutigen, gar vom Weiterschreiben abhalten, wird es mich nicht.