Die Flucht in Gedanken

Ich habe begonnen, einen neuen Roman zu schreiben. Dafür muss ich dem grauen Herbstalltag entkommen - und es auf die Insel schaffen, auf dem die Handlung spielen soll.

Die Katze hat es als Erste vernommen. Es ist etwas wärmer als gestern. Genauso grau zwar, aber wärmer.

Entsprechend freudig erregt hopste sie durch die Wohnung. "Du denkst wohl, der Frühling kommt", kommentierte S. "Dabei ist das nur die Ruhe vor dem Sturm", sprich: dem Winter. Am Sonntag könnte es in Stuttgart schneien.

Wir hätten das der Katze vielleicht nicht sagen sollen. Sie hat sich in den Schrank verzogen - auf meine Hosen.

Blaues Wasser, karges Eiland

Ich habe kein ausgemachtes Problem mit dem Winter. Und doch passt er mir nicht in den Kram. Denn in meinem Kopf träume ich mir den Sommer herbei. Ich brauche ihn für den neuen Roman.

Die Insel der Vernünftigen lautet der Arbeitstitel des nächsten Projekts. Der erste Impuls kam mir im vergangenen Winter, freilich nicht in Deutschland, sondern in Kerala, Indien (wo damals gefühlt Sommer war).

Fast das ganze Jahr über hielten mich Unwägbarkeiten und andere Prioritäten davon ab, den Impuls anzufüttern, ihn weiterzuspinnen. Nun, im Herbst, habe ich mir den Freiraum geschaffen, es zu tun. Und picke mir zur Vorbereitung Fotos vergangener Reisen (oben: Zakynthos 2018) heraus, die mich zurück ans Meer bringen.

Die Insel der Vernünftigen ist karg, glaube ich - so sehe ich sie jedenfalls momentan vor mir. Aber ich habe sie noch nicht erforscht. Ich muss mich ihr erst nähern.

Schwimmstunde mit Nora

Ich habe auch noch keine klaren Bilder der Menschen, die auf der Insel leben. Nora zum Beispiel, die immerhin schon einen Namen hat und eine gewichtige Rolle spielen wird. Oder die Frau, deren Namen ich noch nicht kenne, aber wenigstens zu wissen meine, dass sie ein Sausewind ist. Und mein Protagonist, dem es noch völlig an Konturen mangelt.

Wenn ich einen Roman (oder auch "nur" eine Erzählung) entwickle, nähern sich mir die Charaktere mit Bedacht. Und ich wiederum betrete das Setting sehr zögerlich, will nicht Gefahr laufen, in eine Falle zu treten und nicht mehr herauszufinden.

Was ich bei meinen Erkundungen am wenigsten gebrauchen kann, sind Ablenkungen. Diese ewigen Unwägbarkeiten, die sich in den Vordergrund drängen wollen. Ich muss also weg, zumindest in Gedanken.

Das fliegende Sofa

Also begebe ich mich aufs Sofa im Wohnzimmer, denn das vermag zu fliegen. Ja ernsthaft, es bringt mich weg und lässt mich forschen. Lässt mich mit Nora diskutieren, deren Ansichten auf den ersten Blick diskussionwürdig erscheinen.

Das Grau vor dem Fenster bleibt, den Winter werde ich nicht aufhalten können - vielleicht faucht mich die Katze deswegen ständig an, weil ich sie enttäusche. Aber ich kann mich fortträumen und das Arbeit nennen. Wie viele können das von sich behaupten?

 

P.S. Als ich mich vergangene Woche auf die Reise begab, musste ich sie abbrechen. Die Auftaktszene wollte nicht mehr länger warten, sie wollte aufs Papier. Ich bezweifle, dass sie in ihrer jetzigen Form die vielen Überarbeitungsdurchgänge, die irgendwann kommen werden (und weniger beneidenswerte Arbeit sind) überleben wird.

Der erste Satz aber gefällt mir schon ganz gut. Ich muss natürlich noch herausfinden, ob er wahrheitsgemäß ist. Er lautet: Etwas surrte.

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