Geschichten eines Jahres
Trotz Corona und Lockdown: Zum Abschluss dieses pandemiegetriebenen 2020 kann ich mich über zu wenige Aufgaben nicht beschweren. Im Fokus: der Brotjob, zwei Veröffentlichungen – und mein Stipendium.
Ich war schon immer ein Fan von Jahresrückblicken. Momente noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, sie wieder zu erleben, mit all den Gefühlen, die mit ihnen verbunden sind. Ich genieße es sehr, gefühlsduselig zu sein. Normalerweise.
2020 verspüre ich wenig Interesse am Blick zurück. Weil doch alles nur geprägt ist von dem einen Thema, das uns allen zum Hals raushängt – auch wenn das Virus den wichtigsten Ereignissen des Jahres glücklicherweise nichts anhaben konnte.
Nun, da ich in diesem Dezember wegen des „Lockdown light“ daheim sitze, könnte man also meinen, ich hätte jede Menge Zeit für Rückblicke (oder, Gott bewahre, mein neues Romanprojekt), weil ich ja sonst nichts zu tun habe. Dem ist leider nicht so.
An der Adventstradition, auf den letzten Drücker tausend Brotgeber-Dinge auf den Tisch gelegt zu bekommen, die möglichst alle vor Jahresfrist wieder vom Tisch wandern sollen, hat Corona nämlich nicht gerüttelt. Und wenn ich zwischendurch Zeit habe, frage ich mich höchstens, ob es nicht albern ist, sich immer wieder aufs Neue in diesen Strudel reißen zu lassen, nur weil ein Jahr endet, wo das Leben doch im Januar fließend weitergeht.
Den inneren Controller besänftigen
Trotzdem gelingt es mir nicht, mich völlig von meinem inneren Controller zu lösen, der dazu drängt, Bilanz zu ziehen (und möglichst eine gute, versteht sich). Besänftigen kann ich ihn aus literarischer Sicht unter anderem mit zwei Büchern, die in diesem Herbst erschienen sind.
Meine Erzählung Keine Mayo, die ich im März schrieb, geprägt von der ersten Welle, erschien in Augenblicke (herausgegeben von Kai Bliesener). Der Band vereint Beiträge von 16 Schriftstellerkolleginnen und -kollegen, die sich jeweils auf ein Foto beziehen.
Wortreich (herausgegeben von Joachim Speidel und mir) ist das zweite Jahrbuch des Stuttgarter BVjA-Stammtischs. 14 Autorinnen und zwölf Autoren haben Gedichte und Geschichten geschrieben, von mir stammt die Erzählung Die Zusammenkunft.
Es hat jede Menge kollektiver Anstrengung gebraucht, das Buch in den Druck zu bringen. Das Ergebnis: Die Anthologie ist richtig schön geworden. Wie beim ersten Jahrbuch gehen alle Gewinne aus Buchverkäufen an einen wohltätigen Zweck, diesmal an die Tafeln in Stuttgart und der Region.
Inspiration für 2021
Meine Recherchen und Begegnungen im Rahmen des Stipendiums 10 qm/Corona Katalyse entwickeln sich spannend – auch wenn uns das Virus zum Abstand zwingt. Persönlich getroffen habe ich nicht wie geplant alle Mitstipendiat*innen, sondern „nur“ den beeindruckenden Tänzer und Choreographen Yahi Nestor Gahe.
Beide stellen wir uns die Frage, wie wir bei Auftritten eine emotionale Nähe zwischen dem Publikum und uns erreichen. Und beide sind wir überzeugt: Es ist nur in der Präsenz möglich, nicht im Digitalen. In den Interviews, die ich für mein Stipendiumsprojekt mit Literaturhausleiterinnen, Buchhändlerinnen, Pressesprecherinnen, Veranstalterinnen und Lyrikern bisher geführt habe, strotzten meine Gesprächspartnerinnen und -partner vor Leidenschaft. Sie zeigen, wie viel möglich ist und wie viele innovative Formate es gibt.
Welche Wirkung Kunst und Kultur erzielt – nach innen wie nach außen –, haben wir bei einer Zoom-Konferenz mit allen Stipendiat*innen, der Jury und den Vertretern der Stuttgarter Kulturförderung besprochen. Die Einblicke in die Lebenswelten der anderen waren faszinierend – und inspirierend. Voraussichtlich im Januar werde ich die Dokumentation meiner Ergebnisse abschließen – und die Erkenntnisse hoffentlich bald darauf umsetzen.
Auf dass 2021 ein Jahr wird, an dem wir uns wieder mehr begegnen können.