Fern, fern von allem

Wer konsequent im Schreibfluss bleiben möchte, braucht ein gehöriges Maß an Egoismus.

Es war Anfang März, mein erster Tag in der Stadt, und ich fror. Weil es statt Heizungen nur Klimaanlagen gab. Neben mir spielten eine Australierin und eine Irin Tischbillard mit einem Kanadier und ich dachte an den Rat der Argentinierin. Als Erstes aber brauchte ich eine Wohnung - ich konnte ja nicht ewig im Hostel bleiben. Zwei Tage später traf ich einen Mann aus Corleone und zögerte nicht lang. Ich nahm das Zimmer, das er mir bot, spartanisch eingerichtet mit Tisch, Bett und Schrank, einem Fenster - Blickrichtung bröckelnde Fassade vom Haus gegenüber. Genau das, was ich suchte.  

Zu schreiben verlangt zweierlei: Ruhe und Kontinuität. Beides schwer zu finden, wenn die Verpflichtungen des Alltags ihre Krallen ausfahren. Zweimal schon packte ich deshalb meinen Koffer - und verschwand für mehrere Monate, 2012 nach Palermo, 2016 nach Lissabon. Ziel jeweils: die Erstfassung eines Romans beenden. Es hat in beiden Fällen geklappt.

Streunern und schreiben

Drei Normseiten täglich, das war mein bescheidenes Ziel, als ich - Wim Wenders folgend - nach Sizilien floh. Drei Normseiten, ein Klacks, wenn man sich tatsächlich allem entzogen hat, in die Fremde gegangen ist, wo einem nichts bleibt als (meist tagsüber) zu streunern und (meist nachts) zu schreiben.

Anfang April schon war ich fertig mit meiner ersten Fassung, da standen mir noch zwei Monate bis zu meinem Rückflug bevor. Ich hätte also wieder gehen können, nüchtern betrachtet. Aber wie könnte man eine Reise, ja eine Flucht, nüchtern betrachten? Ich blieb also. Ich streunerte weiter, durch Gärten und Kapuzinergrüfte, durch Gassen und entlang wilder Verkehrsstraßen, ans Meer und in die Berge. Und ich schrieb weiter, Erzählungen, die von Sehnsucht zeugten.

Wenn einer eine Reise macht ...

Vier Jahre später wiederholte ich das Spiel und zog nach Lissabon. Wieder ging es mir ums Schreiben und ums Erleben, ums Eintauchen in eine andere Lebenswirklichkeit - so gut das eben geht, bleibt man doch immer, egal, wo man ist, in seiner eigenen Haut gefangen. Weder der in Palermo verfasste Roman noch jener in Lissabon zu Papier gebrachte hat auch nur im Ansatz einen Bezug zu den Stätten, an denen er entstand. Und doch haben die Städte mitgeschrieben. Ohne ihre Gastfreundschaft hätten die Geschichten nicht gedeihen können.

Dennoch, die Frage ist berechtigt: Was hat dies mit dem Arbeitsprozess zu tun? Nun, die kleinen und großen Ablenkungen des Lebens sind Gift für die Kreativität. Ob es nun das Katzenvideo ist oder der Umzug eines Freundes oder der Obeschenkelhalsbruch der Großmutter - nichts sollte in den Schaffensstunden den Fokus stören. Wer konsequent im Schreibfluss bleiben möchte, braucht ein gehöriges Maß an Egoismus.

Ich also war dann mal weg. Und zog es durch. Knapp drei Jahre nach der letzten Reise sitze ich hier und plane seit sechs Monaten ein neues Projekt. Aber meine Lebenswirklichkeit hat sich geändert, ich kann nicht mehr einfach monatelang verschwinden, will das gar nicht mehr. Wie man unter solchen Umständen Ruhe und Kontinuität findet? Dazu ein anderes Mal. Ich muss es erst selbst herausfinden.

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