Im Meer der Ratgeber

Nimm niemals an, du hättest genug zum Handwerk der Literatur gelernt.

Etwa sieben Jahre ist es her, da besorgte ich mir – infolge zweier an Naivität gescheiterter Versuche, Romane in großen Publikumsverlagen unterzubringen – ein paar Schreibratgeber aus der Bibliothek.

Ich wählte einige Klassiker, von Patricia Highsmith, Elizabeth George und Stephen King, las mit Freude und Interesse – und glaubte ziemlich bald, verstanden zu haben, worauf es ankommt. Nun richtig loslegen zu können, auf solider Wissensbasis. Weil (mein) Talent ja doch noch ein Tick wichtiger ist als Handwerk.

Was für eine grandiose Fehleinschätzung!

Eigene Schwächen akzeptieren

Man müsste ja meinen, der Mensch lerne aus Niederlagen. Ich aber brauchte eine Weile, um anzuerkennen, dass es nicht (immer) am ungerechten Literaturbetrieb lag, wenn ich mal wieder ein Stipendium nicht bekam und einen Preis nicht gewann. Nicht daran, dass die Jury mein Genie nicht erkannte, mich nicht verstand.

Es lag schlichtweg daran, dass meine Texte nicht gut genug waren.

Ich akzeptierte, dass es angeraten war, es besser zu machen. Oder wenigstens: anders. Erkannte, dass es an der Zeit war, meine Herangehensweise ans literarische Schaffen zu überprüfen. Sah ein, dass es mir offensichtlich zu selten gelang, das aufs Papier zu bringen, was ich mir vorgenommen hatte, verkörpert von Figuren, bei denen dem Publikum gar keine Wahl bleibt, als ihnen folgen zu wollen.

Das Dogma in mir

Ich verabscheue dogmatische Einstellungen seit jeher. Daher rührte meine Skepsis gegenüber Schreibratgebern. Ich warf ihnen – ungelesen! – vor, dass es in ihnen vor formaler Gesetze wimmele, die ein Schreibender zu befolgen habe. Punkt.

Und ja, ich bin mir der Ironie dieser kategorischen Ablehnung jeder Form von Beeinflussung meiner eigenen eisernen Gesetze vollauf bewusst. Die Gesetze bauten im Wesentlichen auf der Überzeugung auf, für alles meinen eigenen Stil und meine eigene Form entwickeln zu können. Und zu sollen.

Die Banalität, dass man sich mit Regeln auseinandergesetzt haben sollte, bevor man beschließt, sie zu brechen – schon allein, um zu überlegen, ob manche Regel nicht vielleicht doch ganz sinnvoll sein könnte –, überstieg offenbar meinen Horizont.

Zeit für Achtsamkeit

Dann kam Corona, kam viel Zeit zum Nachdenken, kam Einsicht. Ich besorgte mir E-Book-Schreibratgeber und recherchierte online auf den Seiten von Autorinnen und Autoren, die sich mit Ratgeberliteratur ein zweites Standbein geschaffen haben. Ich fing an, die Geschichten anderer, die ich las oder sah, stärker zu analysieren als bisher. Und ich fuhr, sobald sie wieder geöffnet war, in die wundervolle Stadtbibliothek Stuttgart, um halbe Regalreihen an gedruckten Schreibratgebern nach Hause zu schleppen.

Auswahl gab es genug – allein das Forum der Autorenwelt hält eine Schatzkammer an Tipps parat. Mein Ziel war, aus ihnen die Hinweise zu ziehen, die nötig waren, um neue Wege zu finden, packende Erzählungen und Romane zu entwickeln.

Manche Bücher überflog ich nur, weil sie mir wenig Neues lieferten. Andere, allen voran Die Kunst des Erzählens von James Wood und Über das Schreiben von Sol Stein, saugte ich regelrecht in mir auf. An letzterem störte mich zunächst seine latente Selbstverliebtheit, empfand das Buch am Ende aber als Offenbarung.

Learning by reading und by doing

Gewonnen habe ich Leitlinien für einen veränderten Entstehungsprozess, anwendbar auf Kurzprosa und Romane. Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die ich mir selbst zusammenbastelte, um mir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, worauf es ankommt – beim Plotten, beim Schreiben und beim Überarbeiten.

Darauf beispielsweise, wie zentral es ist, über lebensechte, interessante Charaktere zu verfügen, bevor man sie aufeinander loslässt, um das Feuer der Story zu entfachen. Darauf, narrative Zusammenfassungen zu reduzieren, die den Leser aus dem Erleben reißen. Oder darauf, Abstraktionen zu vermeiden und konkret zu bleiben.

Gewonnen habe ich zudem die Erkenntnis, dass ich immer wieder – auch zwischendurch – zur Neugier zurückkehren sollte. Niemals annehmen darf, ich hätte genug beisammen zum Handwerk der Literatur. Das Meer der Werke, die helfen können, den eigenen Schaffensprozess zu verfeinern, ist groß.

Jetzt drängt es mich wieder zu schreiben.

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