Foto: Jasmin Gronbach

Vom Lesen und Mitreißen

Nicht schöne Wörter gilt es zu betonen, sondern die, die in der Lage sind, Emotionen zu transportieren.

Es war einmal auf der Frankfurter Buchmesse, da stolperte ich zufällig in die beginnende Lesung eines Großen hinein, der Moderator stellte ihn gerade vor. Ich blieb stehen und freute mich, weil ich den Großen schätzte, es noch immer tue, trotz allem, was passierte. Denn als der Große zu lesen begann, musste ich flüchten. Ich wollte nicht Gefahr laufen, im Stehen einzuschlafen.

Gerüchteweise können Schriftstellerinnen und Schriftsteller zwar schreiben, als gebe es kein morgen, aber wenn sie das Geschriebene präsentieren sollen, erschaudern und verzagen sie, brechen stöhnend zusammen. Auf einer Bühne zu sitzen und die eigenen Worte in die Welt hinauszurufen, bereitet ihnen in etwa so viel Freude wie eine zahnärztliche Wurzelbehandlung ohne Narkose.

Der Große in Frankfurt ist nicht der einzige, bei dem ich erlebte, wie man einen an sich spannenden Text durch monotones Vortragen zu Palaver püriert. Es liegt ihm womöglich einfach nicht zu lesen. Oder, und das ist wahrscheinlicher und schlimmer: Es ist ihm egal, ihm fehlt die Lust zur Mühe. Dabei ist Vorlesen wie Fahrradfahren oder Zigarettendrehen. Man kann es lernen, wenn man will.

Erfahrungen mit der kotzenden Milbe

Ich will. Lernen und lesen. Weil es keinen direkteren Weg gibt, mit seinem Publikum zu interagieren als bei einer Lesung. Als ich (bzw. der andere, der mit dem bürgerlichen Namen) 2016 gemeinsam mit Chris Ignatzi in Wenn die Milbe auf den Käse kotzt den 33 verblüffendsten Museen Deutschlands ein Denkmal setzte, gingen wir natürlich auch auf Tour, unter anderem nach Berlin, wo im Currywurstmuseum das Foto oben entstand.

Es zeigt, wie viel Spaß wir damals hatten. Und das obwohl ich mich ebenfalls nicht für die Bühne geboren fühle. Bei Chris ist das anders, er ist Radiomensch und hat auch sonst ein loses Mundwerk, wie man am 18. September im Stuttgarter Schlampazius bei der Buchpräsentation von Die unverhoffte Genesung der Schildkröte erleben kann, die er moderieren wird.

Ich hingegen neige hin und wieder dazu, lieber zu schweigen als zu reden. Und wenn ich rede, oder lese, galoppiere ich manchmal an Wörtern vorbei. Oder fürchte mich derart vor Begriffen wie Museum für Sepulkralkultur, dass ich am Ende zwar fehlerlos über das Monstrum hinweggleite, aber dafür ein anderes Wort verhasple, Grabbeigabe zum Beispiel.

Wir haben natürlich einen Running Gag aus der Sepulkralkultur gemacht.

Jonglage mit den Emotionen

Da nun nicht nur eine Lesung mit dem Debütroman ansteht, sondern ganz viele, die erste am 4. September in Dresden, besuchte ich jüngst ein Tagesseminar der tollen Kollegin Mareike Fröhlich mit dem Titel „Mit der Stimme Emotionen transportieren“. Und lernte.

Lernte, dass es tödlich ist, sich zu räuspern. Wenn es schon sein muss, solle man husten. Lernte, dass man sich beim Lesen vorstellen möge, in der letzten Publikumsreihe säße ein 95-Jähriger, der seine Hörgeräte daheim vergessen hat. Lernte, wie man die Bedienungsanleitung eines Fernsehers liest, als wäre sie ein Erotikroman.

Mareike Fröhlich beherrscht die Jonglage mit den Emotionen, das Rampenlicht liegt ihr, egal ob sie nun doziert oder liest. „Jedes Wort ist ein köstliches Bonbon“, sagte sie im Seminar. Sie lehrte uns, unsere Texte nach Wörtern zu durchforsten, die es wert sind, betont zu werden – nicht die schönen, sondern jene, die in der Lage sind, Spannung oder Humor oder Traurigkeit zu übermitteln.

Sie trieb uns so manche Flause aus. Ob es was genutzt hat? Ich weiß es nicht. Aber so oder so: Ich werde weiter an mir arbeiten. Ich möchte nicht irgendwann als Großer in Frankfurt sitzen und Zuhörende davonrennen sehen, weil meine Stimme sie anödete.

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